Aufsehenerregendes EUGH Urteil verbessert Chancen für Verbraucher beim Darlehenswiderruf

Der EUGH hat die bisherige Rechtsprechung des BGH zu den Anforderungen an die Verständlichkeit einer Widerrufsbelehrung zugunsten der Verbraucher korrigiert. Mit Urteil vom 26.03.2020 (Az.: C – 66/19) hat er im Rahmen einer Vorabentscheidung auf eine Vorlage des Landgerichts Saarbrücken hin zur Auslegung der EU-Kreditrichtlinie 2008/48 Stellung genommen und ist zu folgenden Ergebnissen gekommen:

  1. Die Richtlinie ist auch auf deutsche Grundschuldkredite anzuwenden, da der deutsche Gesetzgeber bei den entsprechenden nationalen Vorschriften auf das EU-Recht verwiesen hat. Der EUGH ist somit zuständig. (Diese Frage war bisher umstritten.)
  2. Nach der Richtlinie bedürfen Angaben in einer Widerrufsbelehrung – auch soweit sie eine Belehrung über den Beginn der Widerrufsfrist enthalten – einer klaren und prägnanten Form (Urteil TZ 35). (Der EUGH verweist insoweit auch auf sein Urteil vom 09.11.2016, Home Credit Slovakia C – 42/15.)
  3. Sieht die Richtlinie für die Banken oder Sparkassen eine Informationspflicht vor und sind bestimmte Aspekte davon in Rechtsvorschriften geregelt, so muss über den Inhalt dieser Rechtsvorschriften belehrt werden. Das bedeutet im konkreten Fall, dass ein Verweis, wonach die Widerrufsfrist nicht beginnt, bevor der Verbraucher nicht auch alle Pflichtangaben nach § 492 Abs. 2 BGB erhalten hat, ungenügend ist. § 492 Abs. 2 BGB verweist auf Artikel 247, §§ 6 – 13 EGBGB. Artikel 247, § 6 Abs. 1 Nr. 1 EGBGB (auf den verwiesen wurde) verweist seinerseits weiter und schreibt vor, dass der Verbraucherdarlehensvertrag klar und verständlich“ die in Artikel 247 § 3 Abs. 1 Nr. 1 – 14 und in Abs. 4 EGBGB genannten Angaben enthalten muss (sogenannter Kaskadenverweis). Die Überprüfung, ob die dem Verbraucher überlassenen Dokumente alle Pflichtangaben enthalten, ist deshalb für den Fachmann schon schwierig und für den Laien völlig unmöglich.
    Der EUGH hat daher zu Recht eine derartige Widerrufsbelehrung als nicht „prägnant und klar“ eingestuft, im Gegensatz zum BGH, der die Auffassung vertreten hat, dass
    • a) eine Widerrufsbelehrung nicht genauer sein muss, als das Gesetz (BGH Urt. v. 22.11.2016 – XI ZR 434/15 Tz. 17) und dass
    • b) ein normal informierter, angemessen aufmerksamer und verständiger Verbraucher die jeweils einschlägigen Angaben (nur) auffinden können muss (BGH aaO und BGH v. 4.7.17 -XI ZR 741/16 Tz. 27 = NJW RR 17, 1077).

Der BGH spricht wohlgemerkt von „auffinden“, nicht von „verstehen“.

Der EUGH folgt dem nicht. Das EUGH-Urteil hat daher erhebliche Bedeutung nicht nur für Autokredite, sondern auch für Immobiliarkredite. Unseres Erachtens ist es auch eine Richtlinie dafür, wie die Rechtsprechung andere Widerrufsbelehrungen hinsichtlich ihrer Verständlichkeit einzustufen hat, z.B. die häufig benutzte Formulierung, wonach die Widerrufsfrist nicht beginnt,

„bevor dem Verbraucher nicht auch eine Vertragsurkunde oder seine Antragsurkunde oder eine Abschrift der Vertragsurkunde oder der Antragsurkunde zur Verfügung gestellt wurde“.

Ein Vertrag oder ein Antrag liegt bekanntlich erst vor, wenn der Verbraucher seine Willenserklärung abgegeben hat. Das bedeutet, dass Vertrag oder Antrag die Unterschrift des Verbrauchers enthalten müssen (BGH Urt. v. 21.02.17 – XI ZR 381/16). Die Instanzgerichts-Rechtsprechung hat demgegenüber unter Berufung auf eine (u. E. missverstandene) Entscheidung des BGH vom 27.02.2018 (XI ZR 160/17) entschieden, dass die vor Unterschriftsleistung des Verbrauchers zur Verfügung gestellten Antrags- oder Vertragsformulare, die bei ihm nach seiner Unterschriftsleistung auf dem „Bankexemplar“ verblieben sind, eine Vertragsabschrift bzw. Antragsabschrift darstellen würden. Da sie das aber erst wären, nachdem der Verbraucher seine Unterschrift geleistet hat, fragt es sich, was dem Verbraucher „zur Verfügung gestellt wurde“ im Sinne der Belehrung, (ein bloßes Formular oder eine Antragsabschrift?). Der BGH ist in seinem obigen Urteil zwar so weit gegangen zu sagen, dass das nicht unterschriebene Blankett eine Antrags- oder Vertragsabschrift darstellen würde, nachdem der Verbraucher das für die Bank bestimmte Exemplar unterzeichnet hat. Nur kam es in jenem Fall nicht auf das „Zurverfügungstellen“ an. Die Instanzgerichte (z.B. LG Hamburg Az. 330 -O- 29/18, OLG Köln Az. I 12 U 42/19 und OLG Bremen Az. 1 U 64/19) haben daraus aber gefolgert, dass auch ein vor Unterzeichnung des Verbrauchers zur Verfügung gestelltes Blankett eine „zur Verfügung gestellte“ Antragsabschrift darstellt. Das ist unlogisch, verwirrend und für den Verbraucher nicht nachzuvollziehen. Ihm ist in der überwältigenden Mehrzahl aller Fälle nach dem Akt der Unterzeichnung nichts mehr zur Verfügung gestellt worden, so dass die Widerrufsfrist auch nach dieser Widerrufsbelehrung nicht zu laufen begonnen hat. Es kann dahinstehen, ob die Auslegung des BGH, ab wann man von einer Antrags- oder Vertragsabschrift sprechen kann, überzeugt oder nicht. Maßgeblich ist nach der Richtlinie 2008/48/EG, Artikel 10 Abs. 2 p, dass alle Angaben in einer Widerrufsbelehrung für den Verbraucher klar und prägnant sein müssen. Das sind sie weder mit dem Verweis auf „Pflichtangaben“ noch bei der Definition dessen, was eine zur Verfügung gestellte „Antrags- oder Vertragsabschrift“ ist, jedenfalls wenn man die Definition der o.a. Instanzgerichte zugrunde legt.

Wir empfehlen daher, alle Autokredite, die ab dem 14.06.2010 vereinbart wurden und alle Immobilienkredite, die zwischen dem 11.06.2010 und dem 20.03.2016 abgeschlossen wurden, überprüfen zu lassen, soweit sie entsprechende Widerrufsbelehrungen enthalten. Widerrufbar wären eventuell auch alle Kredite, die nicht älter als 1 Jahr und 2 Wochen sind. Wir beraten Sie gerne.

Bremen, d. 15.04.2020

Wolfgang W. Ohrt
Rechtsanwalt und Notar a.D.